Rechte Aneignung von Memes

Die Geschichte des Memes Pepe the Frog (Abb. 1. Für Ansicht Klicken) lässt sich stellvertretend für einen Kulturkampf zwischen verschiedenen politischen Strömungen in der Internet-Community betrachten. Ich möchte anhand dieses Memes untersuchen, wie sich rechte politische Strömungen (in diesem Fall vor allem die Alt-Right in den USA) Memes und Bilder im Internet aneignen und benutzen. In diesem Kapitel beschreibe ich zuerst die Geschichte des Memes Pepe the Frog, fasse anschließend den Forschungsstand dieses Themas zusammen und stelle mich den folgenden Fragen: Sollten Nutzer_innen in den sozialen Medien die Kontexte und Bedeutungen von Memes verstehen? Welche Kraft entwickelt politische Propaganda, wenn sie mit Hilfe von Memes verbreitet wird und welche Strategien werden bei der Aneignung von politischen Debatten auf Internet-Plattformen angewendet?


Geschichte von Pepe the Frog

Pepe the Frog ist ursprünglich ein Protagonist der unpolitischen Comic-Reihe Boy’s Club und wurde ab dem Jahr 2008 als positives Reaction Image51 (Abb. 2) mit der Aussage „feels good man“ in Foren des Imageboards 4chan gepostet. Die 4chan-Community ist sehr ambivalent: einerseits entstanden hier Bewegungen wie Anonymus, die für eine dezentralisierte und freiere Welt eintritt,52 andererseits schuf die Community durch ihre Ablehnung von politischer Korrektheit eine diskriminierende53 und feindselige Kommunikation, die durch Schrift und Bild transportiert wird.54 Trolling (also das vorsätzliche Beleidigen oder Schockieren mit dem Ziel Reaktionen zu provozieren) wurde vor allem auf 4chan etabliert und von dort in den Rest des Internets getragen. Meistens handelt es sich bei den Aussagen von Trolls nicht um deren Meinung, sondern um eine bloße Provokation55 . Solche Aktionen sind trotzdem moralisch nicht vertretbar.

Ab 2009 wurde Pepe immer öfter mit der negativen Aussage Feels Bad Man (Abb. 3) verknüpft56 und wurde zum Sad Frog, einer Art Maskottchen für die sich selbst als Beta Males und Betas bezeichnenden Nutzer_innen auf 4chan. Diese drei Begriffe leiten sich vom Selbstbild vieler meist männlicher 4chan-Nutzer_innen ab: Sie attestieren sich selbst mangelndes Sozialverhalten und gehen davon aus, keine sexuellen Beziehungen führen zu können, da sie im Gegensatz zu erfolgreichen, gut aussehenden und sozial kompatiblen Menschen nicht sichtbar sind.57 Beta Males und Betas bezieht sich auf Sozialordnungen im Tierreich, die in dominante Alphatiere und und unterwürfige Betatiere unterteilt sind. Alpha Males und Menschen, die am Sozialleben teilhaben, werden oft abgrenzend als Normies - also normale Personen - bezeichnet. Die 4chan-Nutzer_innen betrachteten Pepe the Frog als Ebenbild ihrer Selbst: „[...] as grotesque outsiders whose very visage was disturbing to „normies“ [...]“58 . Mit der Zeit mutierte das Meme immer wieder, es entstanden verschiedene Versionen Pepe the Frogs, wie zum Beispiel Smug Frog (Abb. 4) aus dem Sommer 2011, eine arrogante, selbstgefällige und perfide Version von Pepe the Frog.59

Ab 2014 etablierte sich ein neues Meme, bei dem Nutzer_innen Abwandlungen Pepe the Frogs als Rare Pepes (Abb. 5) bezeichneten. Die Sammlung dieser Bilder entwickelten sich zu einer Art riesigen Album, ähnlich einer Briefmarken- sammlung, nur dass die Nutzer_innen auf 4chan diese untereinander teilten und tauschten.60
Gleichzeitig verbreitete sich ab 2014 das Meme im Rest des Internets, erreichte den Mainstream der Internet-Community, wie die Plattformen Facebook oder Instagram und wurde von Stars wie Katie Perry oder Nicki Minaj in verschiedenen Meme-Versionen benutzt.61 Diese Entwicklung sahen die selbsternannten Beta Males als Diebstahl der Normies ihres Alter-Ago-Memes Pepe the Frog und versuchten mit Hilfe von geschmacklosen Rare Pepes ihr Meme negativ zu konnotieren und somit unbenutzbar für den Mainstream zu machen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie damit noch keinen Erfolg, denn das Meme Pepe the Frog verbreitete sich weiter in den sozialen Medien.62



Pepe im US-Wahlkampf im Jahr 2016

Durch den Eintritt Pepe the Frogs in den Mainstream wurde der Grundstein für die Unterstützung der 4chan-Community für Donald Trump im US Wahlkampf 2015/2016 gelegt. Nach der Wahl wurde klar, dass neben der Alt-Right eine große Zahl von Nutzer_innen der Imageboards die Republikaner unterstützten, indem sie eine dezentrale Medienkampagne organisierten, die vor allem durch Memes gestützt wurde.63
Trump soll von den 4chan-Nutzer_innen (ähnlich wie Pepe the Frog) als eine lebensechte Karikatur ihrer Community gesehen worden sein: als Troll, der das Establishment der amerikanischen Politik auf geschmacklose Weise bedrängt und als eigentlicher Verlierer, der trotz aller Widrigkeiten erfolgreich ist.64 Aus der inneren Dynamik der 4chan-Foren und später animiert durch die Alt-Right, verschmolz die reale Person Trumps im Internet mit der Meme-Persona: Es tauchten Bilder auf, in denen Trump als Pepe the Frog dargestellt wurde. Ein Tweet Trumps aus dem Oktober 2015 (Abb. 6) zeigt ihn als Comic-Figur an einem Rednerpult stehend. Sein Kopf ist eine Mischung aus seiner markanten blonden Frisur und dem Gesicht von Smug Pepe. Seine Hautfarbe ist mit dem Grün von Pepe the Frog eingefärbt. Mit dem Teilen des aus 4chan stammenden Memes interagierte er öffentlich mit den Nutzer_innen dieses Imageboards. Auch Marine Le Pen wurde im November 2016 von Nutzer_innen auf Reddit im selben Stil als Rare Pepe gezeigt65 (Abb. 7).


Die 4chan-Community soll den Wahlkampf als Chance gesehen haben, „ihr“ Meme endgültig für den Mainstream unbenutzbar zu machen, indem sie die Produktion von rassistischen und beleidigenden Rare Pepes steigerten und diese auch außerhalb ihrer Subkultur verbreiteten. Das politische Establishment Amerikas ging Anfang 2016 davon aus, dass Pepe the Frog ein rechtes Hasssymbol sei, weil diskriminierende Rare Pepes einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden. Als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung begannen die Betas nun noch mehr Internetforen, Kommentarsektionen und Chats der sozialen Medien mit Rare Pepes zu fluten, die ganz deutlich rassistisches Gedankengut zeigten. Diskriminierende Versionen des Memes waren damit zum ersten Mal in großer Zahl außerhalb 4chans präsent: Es zirkulierten immer mehr Memes auf den Mainstream- Plattformen, in denen Pepe the Frog zum Beispiel eine Naziuniform oder eine KKK- Kutte trägt.6666

Unterstützer_innen Trumps (z.B. Steve Bannon), die sich der Alt-Right zuordnen lassen, wurden auf das politische Potential von Memes und den dahinterstehenden Gemeinschaften schon vor dieser US-Wahl während Gamergate 2014 aufmerksam. Bei diesem Skandal zeigte sich einer breiten Öffentlichkeit, wie sexistisch und frauenfeindlich ein Großteil der Gamer-Community im Internet sein kann. Gamergate war eine Bewegung in den sozialen Medien, die vor allem weibliche Spielerinnen diskriminierte: Hassbotschaften und Morddrohungen gingen meistens von männlichen und rechten Personen aus. Der von Bannon beauftragte Blogger und Journalist Milo Yannopoulos stieg als Akteur in diese Debatten ein, machte sich einen Namen als sogenannter „free speech activist“ und schlug sich auf die Seite der misogynen Gamer_innen.67 Im US-Wahlkampf 2016 nutzten Bannon, Yannopoulos und die Alt-Right die während Gamergate erworbenen Kenntnisse über diese Subkulturen, um mit Hilfe von Artikeln und Memes die oben beschriebene Debatte zugunsten Trumps zu beeinflussen — ihr Ziel war es, durch einen Kulturkampf im Internet Unterstützer_innen für die Alt-right und somit Trump zu rekrutieren.68 Ihre rechte Propaganda erreichte als Memes getarnt in sozialen Medien Nutzer_innen, die durch den Witz unterhalten wurden, aber die politischen Botschaften nicht immer verstanden — versteckt hinter der Ironie der Memes wurde so rechtsradikales Gedankengut verbreitet. Vor allem Pepe the Frog wurde oft verarbeitet und benutzt: Hier wird das Meme in einer rassistischen Illustration (Abb. 8) für den Breitbart69 -Artikel „An Establishment Conservative’s Guide To The Alt-Right“70 verwendet. Pepe the Frog steht hier stellvertretend für die Alt-Right Bewegung, die die konservative Landschaft Amerikas aufmischen soll.


Pepe the Frog nach der negativen Kontextualisierung

Nachdem das Meme als rechtes Hasssymbol etabliert war, gab es etliche Versuche, die negative Konnotation wieder rückgängig zu machen. Eine bekannte Aktion ging von Matt Furie aus, dem Autor des Comics, aus dem die Figur Pepe ursprünglich kopiert und im Internet verbreitet wurde. Nachdem die Anti-Defamation League das Meme als rechtes Hasssymbol deklarierte, arbeiteten Matt Furie und die ADL zusammen, um Pepe the Frog seinen negativen Kontext wieder zu entziehen. Die ADL war sich bewusst, dass die Bedeutung des Memes durch rechte Akteur_innen oder Trolle angeeignet wurde und ursprünglich nicht rassistisch war. Aufgrund der großen Anzahl an diskriminierenden Pepe the Frog- Memes in den sozialen Medien war dieser Schritt für sie notwendig. Unter dem hashtag #SavePepe verbreiteten Furie und seine Community friedliche Pepe the Frog Versionen und Memes und versuchten es so vom problematischen Kontext zu befreien.71

Seit der US Wahl 2015/2016 sind das Pepe the Frog Meme und seine Ableger auch in nicht rechtsextremen Zusammenhängen weit verbreitetet. In etlichen Subkulturen und deren Plattformen werden sie weiterhin benutzt — vor allem ironisch und in Bezug auf die manchmal diskriminierende Bedeutung des Memes. Auf Twitch wurde 2018 ein Twitch-Emote72 mit dem Namen Poggers (Abb. 9) populär, das ein freudig erstauntes Gesicht Pepe the Frogs zeigt. Es entwickelte sich als eigenständiges Meme, indem es sich neben dem Gebrauch als Emote in anderen sozialen Medien verbreitete und mutierte.73

In den Live-Streams des linken Journalisten HasanAbi auf Twitch werden im Chat in nahezu jeder Sekunde Pepe the Frog Emotes gepostet. Meiner Einschätzung nach würden sich die meisten dieser Personen politisch links einordnen, was darauf hinweist, dass das Meme nicht nur von den Alt-right benutzt wird.74 Andere auf Pepe the Frog basierende Versionen, wie zum Beispiel He Cute (Abb. 10) (ebenfalls von 2018) lassen sich schwierig einordnen. Dieses Meme, das den Frosch in einem Anzug zeigt, kann ebenso wie der originale Pepe the Frog durch einen bestimmten Kontext oder Text diskriminierend oder auch anti-diskriminierend sein.75 In unterschiedlichen Zusammenhängen taucht Pepe the Frog bis heute immer wieder auf, denn es ist eines der bekanntesten Memes und ein fester Bestandteil der Bildtradition im Internet.

2019 wurde eine weitere Version von Pepe the Frog durch Aktionen der 4chan- Nutzer_innen in einen negativen Kontext gesetzt — ähnlich wie es 2016 mit dem ursprünglichen Meme geschah. Der Frosch ist ein Paradebeispiel für die Neukontextualisierung und Ambivalenz von Memes und zeigt, wie umkämpft die Bedeutung von Symbolen in den sozialen Medien ist. Diese neue Version zeigt ihn mit einer regenbogenfarbenen Clownsperücke, einer roten Clownsnase und einer gepunkteten Fliege (Abb. 11). Das Bild wurde ursprünglich (ohne negative Konnotation) von Gamer_innen auf Discord76 als Emote kreiert und in Chats benutzt. Die 4chan-Community eignete sich das Meme an, indem sie Pepe als Clown mit dem Konzept der Clown World kombinierten. Dieses Konzept ist unter Beta Males und bestimmten Gruppen von Gamer_innen weit verbreitet und gilt als eine absurde Version der nihilistischen Blackpill77 . Anhängerinnen und Anhänger der Clown World gehen zynisch davon aus, dass die Welt untergehe und nicht zu retten sei. Jede Person sollte allein aus egoistischen Gründen handeln und der Absurdität des Lebens ins Gesicht lachen. Meistens geht es dabei um sogenannte Männerrechte, rechte Politik und Verschwörungsmythen.78 Innerhalb dieser Subkulturen, die sich auf Gedankenkonstrukte wie die Clown World berufen, werden Memes wie der Honkler verwendet (oder auch ein Clown-Emoji kombiniert mit einem Weltkugel-Emoji, wenn man keine digitalen Bilder, sondern nur Text posten kann) um politische Aussagen zu verbreiten und den eigenen Standpunkt zu festigen/zu definieren. Allerdings wird dieses Meme (ebenso wie der originale Pepe the Frog) seit seiner Entstehung auch in linken Kontexten benutzt und ist nicht zwangsläufig ein rechtes Hasssymbol.

Die Neudeutung des Honklers wurde von Teilen der 4chan-Community erreicht, indem sie in einer geplanten Aktion diskriminierende Versionen des Memes in den sozialen Medien teilten. Auf 4chan selbst wurde das als „OPERATION *HONK*“ bezeichnet (Abb. 12). Inwiefern die diskriminierenden Honkler-Memes die Ansichten der Nutzer_innen und der ambivalenten 4chan-Subkultur wider- spiegelten, lässt sich nicht genau sagen. Es ist unklar, wie einzelne Aussagen gemeint sind und ob tatsächlich eine politische oder gesellschaftliche Agenda dahintersteht. Oft sollen sie eine bloße Provokation sein, ganz im Sinne des Trolling79 .

Nach dieser Aktion verschob sich wie beim ursprünglichen Pepe the Frog die öffentliche Wahrnehmung des Memes nach Rechts. Ein Beispiel für eine rechtsextreme Anwendung des Honklers ist ein Tweet (Abb. 13) des Schauspielers James Wood aus dem Jahr 2019: Die Vloggerin Lil Lunchbox versuchte sich in einem Youtubevideo gegen die rechte Aneignung des Memes auszusprechen.80 Wood teilte daraufhin eine Collage aus einem Foto von Lil Lunchbox und einer Aufnahme des Christchurch Attentäters. Ähnlich wie Donald Trump in seinem weiter oben benannten Tweet ist das Gesicht des Attentäters grün angemalt. Zusätzlich trägt er zwei Accessoires des Honklers: Eine Regenbogenperücke und eine rote Clownsnase. Dieses Bild ist ein direktes Zitat des Memes.


Politische Teilhabe mit Hilfe von Memes

Die Tweets von Donald Trump und James Woods stehen beispielhaft dafür, wie sich Symbole im Internet umschreiben und aneignen lassen. Teile rechter Bewegungen haben Memes als wichtig für ihre politische Agenda und zur Rekrutierung erkannt.81 Die Journalistin Angela Nagle beschreibt in ihrem Buch „Kill All Normies“ die rechte Mobilisierung im Internet seit Gamergate im Jahr 2014 und wirft den Linken vor, durch übertriebene politische Korrektheit in sozialen Medien dem rechten Rand ein leichtes Spiel bei der Beeinflussung der Nutzer_innen zu machen. Durch den Zwang, eine Sprache zu sprechen, die nicht von ihrer eigenen Community geprägt ist, sondern von linken und liberalen Gemein- schaften, fühlt sich ihrer Meinung nach ein großer Teil der Personen im Internet vom Diskurs ausgeschlossen. Die gefühlte Ausgrenzung machen diese Nutzer_innen anfällig für Beeinflussungen durch rechte Positionen.82 Eine Studie zu Rechtsextremismus aus den 1990er Jahren scheint die These zu unterstützen, dass das komplette Verbot von rechten Inhalten Radikalisierung begünstigt.83 Nagle ist dabei meiner Einschätzung nach zu kritisch gegenüber subkultureller Kommuni- kation im Internet und lässt oft die vielen nicht politischen und weniger radikalen Aspekte außer Acht.

Es gibt bis jetzt wenige Studien und Untersuchungen über die Frage, wie Memes als Transportmedium politischer Botschaften funktionieren. Anne Leiser beschreibt in einer medienpsychologischen Untersuchung drei wesentliche Faktoren, die für die in ihrer Studie befragten Nutzer_innen besonders wichtig waren: Der Humor der politischen Memes ist wichtig für den Einstieg in politische Themen, ähnlich wie bei Infotainment, einer Mischung aus Information und Unterhaltung, die leichter zugänglich ist als traditionelle Berichterstattung. Der zweite Punkt ist die geringe technische und gesellschaftliche Hürde, politische Memes zu erstellen und zu teilen. Sie hilft den Nutzer_innen, sich selbst und die eigenen Ansichten im Internet zu präsentieren. Bei kontroversen Themen ist es leichter, sich hinter dem Humor zu verstecken: Wer ein diskriminierendes Meme teilt, kann anschließend behaupten, nur einen Witz gemacht zu haben. Auf Plattformen wie 4chan sind Nutzer_innen immer anonym und müssen noch weniger gesellschaftliche Strafen fürchten, wenn sie kontroverse Aussagen machen. Der dritte Punkt Anne Leisers ist, dass gegensätzliche Meinungen eher toleriert werden, wenn ähnliche Memeformate benutzt werden.

Die politische Teilhabe kann aber durch die Aufmerksamkeitsökonomie in sozialen Medien und Plattformen wie 4chan verzerrt werden. Manche Personen teilen unabhängig ihrer politischen Meinung ausschließlich Memes, bei denen sie eine hohe Aufmerksamkeit erfahren, zum Beispiel durch Likes, oder durch besonders viele negative Kommentare.84 Extreme Ansichten können als witziges Meme verpackt, oder durch überspitzte Inhalte mehr Aufmerksamkeit generieren, was zu der oft wiederholten Aussage „The left can’t meme“ geführt haben könnte. Personen aus dem linken politischen Spektrum sollen durch die Vermeidung von radikalen und beleidigenden Memes dieses sehr wirkungsvolle Werkzeug der Aufmerksamkeitserzeugung nicht nutzen (siehe hierzu das Kapitel „Linke Meme- Lords“). Die Verzerrung der Sichtbarkeit zugunsten von radikalen Inhalten liegt einerseits an den Mechanismen der Plattformen, die häufige Aktionen und Reaktionen mit Aufmerksamkeit belohnen, aber auch an gesellschaftlichen Problemen, denn Diskriminierung ist in vielen Fällen immer noch gesellschaftsfähig.

Obwohl diese Mechanismen problematisch sein können, haben Memes großes Potential für politische Teilhabe — auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Ryan M. Milner untersucht die Auswirkungen von Memes auf die politische Partizipation von Nutzer_innen und beschreibt diese in seinem Buch als wirkungsvolle Werkzeuge um eigene Debatten außerhalb der klassischen Medienwelt zu führen und eine eigene soziale Medienwelt zu erschaffen.
Der Einstieg in diese politische Partizipation durch Memes ist einfacher, als einen Artikel in einer Zeitschrift zu schreiben. Es reicht aus, einen bestimmten Hashtag auf Twitter anzusprechen, oder ein Bild zu teilen. Gleichzeitig besitzt die Kommunikation mit Hilfe von Memes eine steile Lernkurve. Viele Memes lassen sich erst entschlüsseln oder lesen, wenn die rezipierende Person die formalen Strukturen des Memes und den dazugehörigen Kontext kennt. Die Basis für diese Teilhabe an politischen Debatten wird in der alltäglichen Benutzung von Memes gelegt, die oft nur lustige Spielereien sind. Damit lernen Nutzer_innen, wie Meme- Kommunikation funktioniert und wie man andere anspricht. In größeren Debatten können sie dann aufgrund ihrer Kenntnisse teilhaben und beeinflussen. Milner benutzt das We Are The 99 Percent85 Meme als Beispiel, mit dem nach den Occupy Wallstreet Protesten auf verschiedenen Plattformen divers diskutiert wurde.86


In den oben beschriebene Beispielen Pepe the Frogs war es für Einfluss nehmende Personen von Vorteil, in den sozialen Medien bereits eine große Reichweite zu haben.87 So war der Tech-Blogger Milo Yannopoulos bereits durch seine Artikel auf Breitbart News bekannt und eignete sich während Gamergate an, Memes in der öffentlichen Debatte zu benutzen. Bevor er auf diesen fahrenden Zug aufsprang und sich mit der Imageboard-Kultur assimilierte, hatte er wenig Kontakt zu der Gamer- oder Meme-Kultur.88

Rechte Bewegungen oder der Populismus allgemein haben das politische Potential der Memes erkannt und beherrschen die ihnen eigene Syntax, sowie deren pop- und subkulturellen Verweise. Die beiden oben näher beschriebenen Tweets Trumps und Woods’ zeigen eine Aneignung auf Bildebene, die sich mit der Aneignung der Kommunikation im Internet durch rechte Propaganda vergleichen lässt: In beiden Fällen wird die Haut der Personen auf dem digitalen Bild mit einfacher Bildbearbeitung grün angemalt. Das Grün war und ist auf allen Plattformen für die der Memesprache mächtigen Nutzer_innen ein Verweis auf Pepe the Frog.

Mit der Einfärbung und der Benutzung eindeutiger Attribute von bestimmten Memes (wie hier von Pepe the Frog oder des Honklers) lässt sich so von bestimmten Personen Einfluss auf die Debattenkultur und die Kommunikation in weiten Teilen des Internets ausüben. Diese Personen oder Gruppen verstehen, wie die Memesprache funktioniert. Das Einfärben lässt sich als Gestus der Aneignung sehen, mit dem sich Teile der Lingua Franca des Internets (also Memes) für politische oder kulturelle Beeinflussung benutzen lassen. Die Akteur_innen kombinieren ein digitales Foto, ein digitales Bild, oder einen Text mit der in diesem Beispiel bestimmten grünen Farbe. Damit werden das inhaltliche Thema der originalen Datei (hier Trump oder der Christchurch Attentäter) mit dem in diesem Fall rechtsextremen Kontext des Pepe the Frog-Memes gekoppelt. Diese Verbindung ist uneindeutig und generiert keine finale Aussage, sondern funktioniert eher suggestiv bei den rezipierenden Personen. Wenn diese beide inhaltliche Ebenen verstehen, können sie selbst die Aussage des Memes interpretieren.


Politisches Potential von Memes

Die meisten Memes89 sind nicht zwangsläufig diskriminierend, obwohl große Teile der Öffentlichkeit sie dafür halten. Sie gleichen einer leeren Projektionsfläche, die mit Inhalt gefüllt werden kann. Im Fall von Pepe the Frog legte die mediale Berichterstattung und das riesige Medienereignis der US-Wahl 2016 einen Fokus auf diskriminierende Versionen des Memes. Diese Sichtweise ist heute noch prägend: Das Teilen von Pepe the Frog kann heute noch problematisch sein, obwohl er in großen Teilen des nicht rechtsradikalen Internets benutzt wird.

Provozierender Humor ist unter jüngeren Nutzer_innen beliebt und erweckt den Eindruck, gegen das Bestehende aufzubegehren, wie eine Art revolutionäres Gedankengut. Das kann sich gegen politische Korrektheit, aber auch gegen rechte Propaganda oder Diktaturen richten. Memes können autoritäre Systeme kritisieren und subversives Gedankengut verbreiten, ohne dabei die Nutzer_innen selbst zu gefährden. Milner zitiert die chinesische Wissenschaftlerin An Xiao Mina, die Memes als wichtiges Werkzeug für politische Kommunikation in einem Überwachungsstaat wie China sieht. Memes können codiert und für Außenstehende nur schwierig interpretierbar sein. So lässt sich subversive Kommunikation (egal aus welcher politischen Richtung) aufrechterhalten, da Überwachungssysteme die Bilder interpretieren und dafür über viele Informationen und ironische Nuancen der Kultur verfügen müssen.90 Pepe the Frogs politische Bedeutung erfährt 2019 eine weitere Umdeutung: Bei den pro- demokratischen Protesten in Hongkong steht das Meme als Symbol für den Widerstand gegen China und wird als Graffiti auf Wände gesprüht, auf anonyme Foren hochgeladen und als Emote in Whatsapp-Chats geteilt (Abb. 14).91

Meiner Einschätzung nach sollte die Gesellschaft lernen, wie Internet- Kommunikation funktioniert, um es radikalen Akteur_innen zu erschweren, Einfluss durch die Aneignung von bestimmten Debatten oder Memes auszuüben. Ohne rassistische Witze gutheißen zu wollen, sollten wir diese riesigen Gruppen der Nutzer_innen, die auf politisch unkorrekten Humor fixiert sind, nicht mundtot machen und verunglimpfen, sondern differenziert betrachten, was kommuniziert wird und warum. Genau diese bisherigen Versäumnisse scheinen (wie beim Pepe the Frog-Meme) rechtsradikale Akteur_innen zu unterstützen, da sie auf ein großes Medienecho und damit Aufmerksamkeit zählen können. Medien und Politik sollten ihren Fokus deutlich mehr auf diese Kommunikationsräume legen, da sie immer mehr auf die physische Welt einwirken. Das populärste Beispiel dafür sind die Verschwörungsmythen des Qanon92 -Kosmos, die für viele Menschen scheinbar aus dem Nichts auftauchen, aber sehr eng mit Internet-Culture verwoben sind, auf 4chan und 8chan ihren Ursprung haben und selbst als außer Kontrolle geratenes Meme bezeichnet werden können. Auch bei der Verhinderung von rechtem Terror in Deutschland spielt die Kenntnis der Kommunikationsräume im Internet eine wichtige Rolle, da dort ein großer Teil der Radikalisierung stattfindet.93 Wer diese Kommunikation verstehen möchte, muss auch mit memetischer Bildsprache vertraut sein.

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51 Reaction Image ist eine Antwort auf einen vorherigen Post in Bildform. 52 Angela Nagle: Digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump, Bielefeld 2018, 36. 53 Mit diskriminierend meine ich, dass die genannten Inhalte für Personen des linken politischen Spektrums und die gesellschaftliche Mitte beleidigend sind. Personen, die sich als rechts bezeichnen, fühlen sich davon vermutlich weniger angegriffen. 54 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 70. 55 Ebd. 63-64. 56 Ebd. 114-119. 57 Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Mainz 2020, 29. 58 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 153.59 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/smug-frog, gesehen am 19.09.2021. 60 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 153-154. 61 Z.: Pepe the Frog, 2015, www.knowyourmeme.com/memes/pepe-the-frog, gesehen am 19.09.2021. 62 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 154.; Ryan M. Milner: The World Made Meme, Cambridge 2016, 105-106.63 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, xx. 64 Ebd. 153.65 Amar Toor: France’s alt-right has turned Pepe the frog into Pepe Le Pen, 2017, www.theverge.com/2017/2/6/14522542/pepe-the-frog-france-le-pen-meme, gesehen am 19.09.2021. 66 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 154.67 Ebd. 148. 68 Ebd. 102-105. 69 Breitbart ist ein Nachrichtenportal, das von Steve Bannon geleitet wird und der Alt-Right zugehörig ist. 70 Vgl. hierzu auch: www.breitbart.com/tech/2016/03/29/an-establishment-conservatives-guide-to- the-alt-right/#, gesehen am 19.09.2021.71 O. V.: ADL Joins With “Pepe” Creator Matt Furie in Social Media Campaign to #SavePepe, o. J., www.adl.org/news/press-releases/adl-joins-with-pepe-creator-matt-furie-in-social-media-campaign- to-savepepe#.WAEYSvkrJhE, gesehen am 19.09.2021. 72 Auf der Streaming-Plattform Twitch sind Emotes meistens Köpfe von bekannten Streamer_innen oder Meme-Charakteren, die eine bestimmte Emotion vermitteln sollen und im Chat eines Kanals geteilt werden können. 73 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/poggers, gesehen am 19.09.2021. 74 Vgl. hierzu auch: www.youtube.com/watch?v=AS13hp5TiDQ, gesehen am 19.09.2021. 75 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/he-cute, gesehen am 19.09.2021. 76 Eine Kommunikationsplattform, die vor allem von Gamer_innen benutzt wird. 77 Das Konzept der Redpill ist dem Film Matrix entlehnt, in dem der Protagonist zwischen einer blauen und einer roten Pille wählen muss. Die rote Pille lässt ihn hinter die Fassade der Wirklichkeit blicken und die Wahrheit erkennen. Die blaue Pille lässt ihn alles vergessen und ein unbedarftes Leben führen. Diese Analogie wird vielen rechten Internet-Communities als Begriff für den Kampf gegen politische Korrektheit und für sogenannte Männerrechte benutzt. Die Blackpill ist eine nihilistische Version der Redpill: Wer sich für die schwarze Pille entscheidet, erkennt die angebliche Wahrheit unserer Welt, versucht aber nicht mehr, etwas daran zu ändern. 78 dinocrackers: Clown Pepe / Honk Honk / Clown World, 2019, www.knowyourmeme.com/memes/ clown-pepe-honk-honk-clown-world, gesehen am 19.09.2021. 79 Angela Nagle: Digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump, Bielefeld 2018, 126-127. 80 dinocrackers: Clown Pepe / Honk Honk / Clown World, 2019, www.knowyourmeme.com/memes/ clown-pepe-honk-honk-clown-world, gesehen am 19.09.2021. 81 CORRECTIV: Kein Filter für Rechts. Wie die rechte Szene Instagram benutzt, um junge Menschen zu rekrutieren, 2020 https://correctiv.org/top-stories/2020/10/06/kein-filter-fuer-rechts-instagram- rechtsextremismus-frauen-der-rechten-szene/, gesehen am 19.09.2021. 82 Angela Nagle: Digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump, Bielefeld 2018, 141-142. 83 Jacob Aasland Ravndal: Right-Wing Terrorism and Violence in Western Europe: Introducing the RTV Dataset, 2016, https://www.jstor.org/stable/26297592?seq=11#metadata_info_tab_contents, gesehen am 19.09.2021. 84 Anne Leiser: Erkenntnisse der empirischen Meme-Forschung: Nutzen und Wirkung von politischen Internet-Memes aus Nutzerperspektive, in: Lars Bülow, Michael Johann (Hg.): Politische Internet- Memes – Theoretische Herausforderungen und empirische Befunde, Berlin 2019, 242.85 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/we-are-the-99-percent, gesehen am 29.09.2021. 86 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 21. 87 Ebd.168. 88 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 148. 90 Ryan M. Milner: The World Made Meme, Cambridge 2016, 159. 91 Emma Grey Ellis: Pepe the Frog Means Something Different in Hong Kong—Right?, 2019, www.wired.com/story/pepe-the-frog-meme-hong-kong/, gesehen am 19.09.2021. 92 Qanon ist eine Person oder Gruppe, die seit 2017 auf 4chan und 8chan Verschwörungsmythen verbreitet. Diese Ideologie geht davon aus, dass weltweit satanistische Eliten Kinder entführen und ihr Blut trinken, um sich selbst zu verjüngen. (https://de.wikipedia.org/wiki/QAnon) 93 Karolin Schwarz: Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus, Freiburg 2020, 366.