Linke Meme-Lords

Memes dienen der rechten Meinungsmache, sind toxisch und diskriminierend — diese Ansicht ist in der Öffentlichkeit und den Mainstream-Medien immer noch verbreitet, obwohl Memes längst nicht mehr nur in digitalen Subkulturen benutzt werden. Das kann daran liegen, dass Medien und auch andere Nutzer_innen diskriminierende, rassistische oder beleidigende Inhalte reproduzieren, da sie viel Widerspruch und Aufmerksamkeit auslösen. Dazu passt das auf 4chan entstandene Meme The Left Can’t Meme mit dem rechte Nutzer_innen und Trolls linken Nutzer_innen aufgrund ihrer politischen Korrektheit unterstellen, sich keine witzigen Inhalte ausdenken zu können.94
Die Aussage spielt auch darauf an, wie Internet- und Meme-Kommunikation funktionieren kann: Absurde und provozierende Inhalte werden öfter reproduziert und verbreitet. Linke Nutzer_innen können dadurch weniger Aufmerksamkeit erhalten, da sie eine anti-diskriminierende Sprache verwenden. Dieser Umstand kann dazu führen, dass rechte Bewegungen Vorteile dabei haben, Personen in sozialen Medien für ihre Inhalte zu begeistern.


Memes selbst sind meistens inhaltlich neutral95 und lassen sich je nach Bedarf politisch oder gesellschaftlich färben — oder bedienen einen absurden und sinnfreien Humor. Die Fotografie eines rechten Populisten als Grundlage für ein Meme kann entweder als Kritik oder als Lob seiner Person benutzt werden. Diese Einfärbung kann sich immer wieder verschieben und sich von ihrer ursprünglichen Bedeutung lösen. Entgegen der Darstellung von Memes als rechtsextreme Werkzeuge, gibt es auf Plattformen wie Instagram, Reddit, 4chan, und früher Tumblr zu jeglicher politischen Strömung Communities, die memetische Inhalte als Kommunikationsform benutzen.96
In diesem Kapitel möchte ich zuerst bekannte Memes und einzelne bekanntere visuelle Versatzstücke herausstellen, die linke politische Themen behandeln, anschließend Beispiele von zeitgenössischen linken Accounts auf Instagram geben und schließlich linke Rekrutierung durch Memes untersuchen und analysieren.



Beispiele für linke Memes

Aufgrund der großen Sichtbarkeit von rechtsextremen Memes sollen hier einige Meme-Praktiken gezeigt werden, die linke Themen behandeln. In den letzten Jahren entstanden international viele bekannte Memes, die sich mit Kommunismus oder Sozialismus befassen. Bei ihnen handelt es sich meistens um eine ironische Auseinandersetzung mit linken politischen Strömungen: Es werden deren Bestrebungen, alle materiellen Werte gerecht verteilen zu wollen oder das konkrete Verhalten von kommunistischen Staaten oder Personen in Witzen verarbeitet. Zu diesen direkten Verweisen auf linke Politik gehören auch Memes, die Kapitalismus- oder Imperialismuskritik üben. Aus vielen dieser als Witz getarnten Botschaften lassen sich genuin linke Ansichten herauslesen, obwohl die konkreten politischen Themen in Memes durch einen oft ironischen Ton schwieriger zu entschlüsseln sind.

Die Mainstream-Medien entdeckten im US-Wahlkampf 2016 nicht nur die besonders „lauten“ Alt-Right, die sich auf Meme-Kommunikation stützten, sondern auch linksorientierte Online-Communities auf den Internet-Plattformen. Einige linke Gruppen benutzen dabei ironisch aufgeladene und sehr provokante Memes: Im Subreddit97 r/FULLCOMMUNISM werden radikale linke (also politisch unkorrekte) Ansichten wie die Verherrlichung von Stalin und Lenin in Memes ironisch verarbeitet (Abb. 1. Für Ansicht Klicken). 2016 erhielt im Zuge der US Wahl die gemäßigt linke Facebook-Gruppe Bernie Sanders’ Dank Meme Stash großen Zulauf.98 In dieser Gruppe teilten Nutzer_innen Memes, die mit Sanders sozialer Politik auf einer Linie waren und ihn auf ironische Weise unterstützten. Bernie or Hillary? 99 ist ein Meme, das während den demokratischen Vorwahlen bekannt wurde (Abb. 2). Seitdem sind linke Memes einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Neben Memes, die durch das Hinzufügen eines Textes in einen linken Kontext gesetzt werden, ist es eine weit verbreitete Praktik, Bilder durch das Benutzen von staatlichen oder ideologischen Flaggen in die gewollte thematische Richtung zu lenken. Wie bei Communist Bugs Bunny 100 reicht es schon aus, eine halb transparente Fahne der Sowjetunion über das Bild zu legen (Abb. 3). Diese Art der Bildmontage wird von Meme-Produzent_innen und Meme-Konsument_innen schnell gelesen: Sie verstehen, dass Bugs Bunny jetzt ein Kommunist ist und seinen Teil des in der Überschrift beschriebenen materiellen Wertes haben möchte. Oder er kann seine Ideologie ablegen, wenn es denn benötigt wird (Abb. 4). Ähnlich wie bei Communist Bugs Bunny werden bei diesem Captain America-Meme (Abb. 5) Fahnen, Zeichen und Farben zur Identifikation benutzt.

Ideologische Symbole werden direkt auf die Köpfe der Figuren montiert, die in einem Meme zu sehen sind, um dieses in den gewünschten Kontext zu setzen. In diesem vierteiligen Meme (Abb. 6) zeigt im ersten Bildteil eine Person, die von vorne zu sehen ist, einer anderen Person, die mit dem Rücken zu den Betrachter_innen sitzt, eine Krankenhausrechnung. Die Rechnung wird für die Tochter der uns den Rücken zukehrenden Person ausgestellt. Beide Personen besitzen anstatt ihres Kopfes eine runde Version des in der Mitte diagonal geteilten, gelb-schwarzen Symbols für Anarcho-Kapitalismus. Die anderen drei Bildteile zeigen den langsamen Übergang des Kopfes der von hinten zu sehenden Person vom Symbol für Anarcho-Kapitalismus hin zu dem rot-schwarzen Symbol für Anarcho-Kommunismus. Der Witz (oder die Kritik) dieses Memes ist, dass entfesselter Kapitalismus nur für diejenigen funktioniert, die auf der Gewinnerseite stehen. Sobald Verfechter _innen dieser Ideologie wirtschaftlich ins Abseits geraten, realisieren sie die Ungerechtigkeit dieses Systems.

Diese sich sehr ähnelnden ideologischen Symbole werden oft in Memes verwendet und dienen im Internet als gut erkennbarer visueller Code für Gleichgesinnte oder Gegner_innen. Jede Farbe in Kombination mit Schwarz bedeutet etwas anderes. So lassen sich immer potentiell neue Ideologien und Bewegungen gestalten: Grün steht für Öko-Anarchismus und Lila für Anarcha- Feminismus. Die Symbole selbst werden auch selber in Memes thematisiert, wie zum Beispiel im Arachno Communism101 -Meme, das mit dem Fehler spielt, „Arachno“ anstatt „Anarcho“ zu schreiben (Abb. 7). Es spielt auf eine politische Ideologie an, in der Spinnen kommunistisch sind. Dieser für Memes typisch absurde Witz wurde immer wieder ausgereizt und neu interpretiert (Abb. 8).

Um visuelle Verweise auf historische Personen und aktuelle Politiker_innen oder Aktivist_innen zu machen, gibt es verschiedene Praktiken: Oft werden digitale Fotos der Personen als Grundlage für ein Meme benutzt, um dieses dann auf verschiedene Arten und Weisen zu bearbeiten, mit Text zu versehen oder mit anderen Bildern zu kombinieren (Abb. 9). Eine andere Möglichkeit um Personen in ein Meme einzubinden sind Zeichnungen. Zur Zeit sehr stark vertreten sind zum Beispiel Bilder von politischen Personen, die in das Wojak102 -Universum einzuordnen sind (Abb. 10). Diese Art von Zeichnungen wirken, als ob sie in Microsoft Paint angefertigt sind und gehen wahrscheinlich auf die frühen Rage Comics103 zurück. Neben dieser besonderen Art von Darstellungen im Stil der Wojaks sind der Vielfalt jedoch keine Grenzen gesetzt. Zum Beispiel wurde diese Zeichnung des Philosophen Max Stirner (Abb. 11), die von Friedrich Engels angefertigt wurde, in Memes benutzt (Abb. 12) und verändert (Abb. 13).104 Die gängigste Praxis linker Accounts und Nutzer_innen scheint es aber zu sein, beliebige und neutrale Memeformate zu benutzen und diese neu zu interpretieren.


Untersuchung von linken Meme-Accounts auf Instagram

Joshua Citarella hat 2018 den Text Politigram veröffentlicht, der seine Untersuchungen zu linken politischen Strömungen auf Internet-Plattformen zusammenfasst. Er hat dabei eine breit aufgestellte, politische Diskussionskultur unter Personen identifiziert, die hauptsächlich der Generation Z zugehörig sind und somit nicht vor 1999 geboren wurden. Er ist der Meinung, dass ein Großteil des Inhalts, der im Internet geteilt wird, auf die Generation Z und die Millenials zurückzuführen ist.

Die verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der übergeordneten Begriffe wie links und rechts waren in seiner Untersuchung sehr vielfältig. Er beschreibt Gruppen, die auf Instagram einen regen politischen Diskurs führen und unter dem Begriff Politigram zusammengefasst werden können: einer Art inoffiziellen Gemeinschaft innerhalb von Instagram, die sich ideologieübergreifend vernetzt, austauscht und diskutiert. Das Spektrum reicht von anarcho-kapitalistischen Accounts und Nutzer_innen, die einerseits anti-regulatorisch und andererseits Befürworter_innen von Diversität und Freiheit sind (Abb. 14), bis hin zu sehr weit am linken Rand stehenden Accounts (Abb. 15).

Citarella versucht den politischen Gemeinschaften während ihres Radikalisierungs- prozess erst auf Instagram und später auf anderen Plattformen wie Discord zu folgen. Er identifiziert ein ebenso großes Radikalisierungspotential für das linke wie für das rechte politische Spektrum und bezeichnet das erwartungsvoll als Möglichkeit, junge Menschen für gerechtere Politik zu begeistern. 105

Auch im deutschsprachigen Instagram gibt es gegenwärtig viele Accounts, die mit Hilfe von Memes linke Themen verbreiten. Dabei fällt auf, dass sich die Mehrzahl der Accounts den Oberbegriffen „links“ und „kommunistisch“ zuordnen — im Gegensatz zu den von Citarella untersuchten größtenteils amerikanischen Accounts, die sich in verschiedenste Teilströmungen wie zum Beispiel Anarcho- Futurism (Abb. 16) aufspalten.

Ich möchte die Art und Weise untersuchen, wie diese linken, deutschsprachigen Instagram-Accounts Memes entwerfen und teilen und Gemeinsamkeiten herausstellen. Der Begriff „links“ besteht aus einem breiten ideologischen Spektrum, das für mich bei der Forderung nach inklusiver und nicht diskriminierender Sprache beginnt und an dessen Ende revolutionäre Bewegungen stehen. Dabei gehe ich aufgrund meiner nicht vorhandenen Detailkenntnis weniger auf die politische Ausrichtung und die Radikalisierung der Nutzer_innen ein und lege meinen Fokus auf die visuelle und humoristische Sprache der verwendeten Memes. Ich habe nur Accounts in meine Untersuchung einbezogen, die auf Deutsch kommunizieren, deren Beiträge hauptsächlich aus Memes bestehen und die mehr als 100 Follower haben. Anhand dieser Kriterien habe ich 15 Accounts intensiv analysiert, die eine Reichweite von meist 500 bis 2000 Follower haben.

Viele deutschsprachige Instagram-Accounts benutzen in ihren Memes eine gemäßigte und inklusive Sprache — sowohl inhaltlich als auch bildlich. Das bedeutet, sie verzichten auf toxische und politisch inkorrekte Witze, sowie auf absurde und unverständliche Bildsprache. Bei Ausnahmen werden diskriminierende Memes oder Witze ironisch dargestellt: Dieses Meme (Abb. 17) des linken und feministischen Accounts hauptsache.links zeigt einen Polizisten der anhand der Schrift im oberen und im unteren Bildteil zu sagen scheint: „I’m not racist. My wife’s eye is black“. Im Zusammenhang mit diesem Account ist das Teilen dieses Memes eine Art Meta-Witz und eine Kritik an Polizeigewalt, an Sexismus, an häuslicher Gewalt und an Rassismus. Wenn Personen auf rassistisches Verhalten angesprochen werden, ist eine typische Ausrede, auf befreundete Personen hinzuweisen, deren Vorfahren nicht aus Deutschland kommen. Durch diese Freundschaft sei es ihnen unmöglich rassistisch zu sein. Das Meme spielt genau darauf an und verstärkt die Aussage auf eine ironische Art. Der Witz könnte aber auch ohne Ironie in einem rechten Kontext auf 4chan oder Kohlchan gemacht worden sein.

Andere Accounts wie proletarischememes, das_rote_rotkehlchen, linke_welt oder meme_revolution haben ebenfalls einen gemäßigten Ton in ihrem Memes und benutzen hauptsächlich ältere Memes. Dieses Meme (Abb. 18) ist sehr weit verbreitet und wurde seit 2017 immer wieder auf allen möglichen Plattformen mit unterschiedlichen Inhalten geteilt. Es ist einfach zu lesen: Das Straßenschild zeigt einen geraden Pfeil, der der Straße weiter folgt und einen nach rechts zeigenden Pfeil, der die Abbiegespur kennzeichnet. Beide Pfeile können auf dem Schild je nach Inhalt mit Schrift versehen werden. Das Auto wird mit dem Gegenstand beschriftet, der in diesem Meme behandelt wird — es ist sozusagen der Protagonist. Das können Personen, Parteien, Institutionen, Länder und so weiter sein. Das Auto fährt auf diesem Foto im letzten Moment und mit einem heiklen Fahrmanöver auf die rechte Abbiegespur und biegt damit auf die fraglichere der beiden Optionen ab, die auf dem Schild beschrieben werden. Auch der Account killjoymemes_ benutzt in einem Post (Abb. 19) dieses Memeformat um die Lockerungspolitik der Bundesregierung in der Coronakrise zu kritisieren. Diese zwei Bilder (Abb. 20, Abb. 21) sind (ebenso wie das davor beschriebene Beispiel) seit einiger Zeit sowohl international als auch im deutschsprachigem Raum weit verbreitet.

Neben diesen gemäßigten Meme-Accounts gibt es einige, deren politische Ausrichtung schwieriger erkennbar ist und die eine radikalere Sprache verwenden. Für die breite Masse an Nutzer_innen auf Instagram sind ihre geteilten Memes entweder unverständlich oder provozierend. Der Inhalt (oder die politische Botschaft) unterscheidet sich wenig von den gemäßigteren Accounts: Sie sind links, feministisch und bei Gender- und Rassismusthemen inklusiv. Die Art, wie diese Themen mit Hilfe von Memes behandelt und transportiert werden, unterscheidet sich zu den oben beschriebenen gemäßigteren Accounts. Die Memes sind radikaler, diskriminierender gegenüber Andersdenkenden oder behandeln hauptsächlich Themen, die in der Gesellschaft weniger Anklang finden. Die politische Botschaft (wenn überhaupt so intendiert) ist schwieriger zu lesen als bei den gemäßigteren Accounts, da man die Ebenen der Ironie und die spezifische Gestaltung der Memes erst entschlüsseln muss.

Der Account ballern_bis_zum_kommunismus lässt sich auf den ersten Blick nur durch seine Namensgebung dem linken politischen Spektrum zuordnen. Den Großteil der dort geteilten Memes machen Witze über starken Drogenkonsum aus — „Ballern“ bedeutet hier, sich irgendeine Droge in Pulverform durch die Nase zu ziehen. Sie stehen meiner Einschätzung nach für eine sehr aktuelle Art des Meme- Machens, die vor allem bei der Generation Z und den Millennials sehr beliebt ist. Das Image Macro, eine frühe und bekannte Subkategorie von Memes, das eigentlich immer wieder als veraltet bezeichnet wurde, ist hier oft zu sehen und wird ironisch benutzt. Inhaltlich sind die Memes sehr „edgy“ und möglichst absurd — sie sprechen Themen an, die in der breiteren und älteren Gesellschaft abstoßend wirken und schwierig zu verstehen sind, wenn man nicht zur Ingroup gehört.

Bei der Durchsicht der Inhalte dieses Accounts fallen, trotz der vielen scheinbar unpolitischen Memes, immer wieder welche auf, die eine politische Botschaft enthalten. Dieses Meme (Abb. 22) zeigt eine junge Person, die in einen gelben Anzug gekleidet ist und eine schwarz-gelbe Anarcho-Kapitalismus-Flagge auf der Schulter trägt. Die Beschreibung im oberen Teil des Memes lautet: „Wen man heimlich Muddis Crackpfeife benutzt hat und jetzt völlig am Rad dreht“ und kritisiert damit (in einem Witz über Drogen verpackt) entfesselten Kapitalismus und junge Menschen, die sich damit identifizieren. Auch dieses Meme (Abb. 2) hat eine eindeutige politische Botschaft, wenn Christian Lindner als Neo-Liberalist bekannt ist.

Der Account katja.pepstein (eine Zusammenfassung von Anspielungen auf Katja Ebstein, eine Akteurin der 1960er Student_innenbewegung und Sängerin sowie dem Wort „Pep“, das für die Droge Speed oder Amphetamin steht) ähnelt dem vorher beschriebenen Account sowohl in der Art des Humors als auch in der immer wieder zu sehenden Verbreitung von linken und anti-kapitalistischen Inhalten. Im Kommentarbereich dieses Memes (Abb. 24) zeigt sich, dass zumindest dieser Account linke Ideen nicht nur als Witz behandelt, sondern damit Meinungsmache betreiben möchte. Das Meme selbst spielt auf ironische Weise auf die Schlagkraft von linken Meme-Accounts im Vergleich zu Kapitalismus- Anhänger_innen an. In den Kommentaren (Abb. 25) widerspricht katja.pepstein der Aussage, dass diese Accounts nur Aufmerksamkeit generieren wollen würden und eigentlich nicht politisch seien.

Der Account bongpisse teilt ebenfalls Memes, die sich dieser zeitgenössischen Art des Meme-Machens zuordnen lassen. Hier gibt es kein bestimmtes Oberthema, wie zum Beispiel das „Ballern“, es sind vielfältigere Bereiche, die angesprochen werden. Auch dieses Beispiel scheint vordergründlich ein trendiger Meme- Account für junge Menschen zu sein, der aber immer wieder auf ironische Art und Weise sexistische, rassistische und rechte Themen anspricht und kritisiert. Diese Aussagen sind nur zu erkennen, wenn man die Sprache dieser Community spricht und versteht. Auch unter den Kommentator_innen ist es nicht immer ganz klar, ob bestimmte Aussagen ernst gemeint sind. Die Ironie verschleiert vieles, was aber die Interaktionen nicht zu stören scheint (Abb. 26). Für Außenstehende ist es schwierig, die Intention hinter diesen Kommentaren (Abb. 27) zu erkennen, die von den beiden Accounts bongpisse und kleene.f0tze gemacht werden. Allein die Accountnamen sind vermutlich für viele Teile der Bevölkerung problematisch, provozierend und ohne den ironischen Unterton nicht einschätzbar. Für Benutzer_innen, die dieser jungen Ingroup angehören, ist die Sprache leichter zu entschlüsseln.

Der Account dialektische_memes teilt nach eigener Beschreibung „Wissen- schaftlich-sozialistische Memes für klassenbewusst-militante Teens“ und lässt sich auf der Ebene der Bildsprache und des Humors ebenfalls den radikaleren Meme- Accounts zuordnen. Auch auf der politischen, inhaltlichen Ebene ist dieser Account radikaler als die meisten anderen, denen ich bei meiner Recherche begegnet bin. Die dahinterstehende Person scheint aufgrund des Q&A auf Instagram und den geteilten Inhalten auf Twitter in linker Theorie sehr bewandert zu sein, zeigt aber auch in den geteilten Memes, dass sie deren besondere Sprache sehr gut versteht und anwenden kann. Hier sind die politischen Botschaften klarer formuliert als bei den anderen radikaleren Meme-Accounts, trotzdem sind der sehr harte Ton und die zum Teil mehrfachen Ebenen der Ironie für Außenstehende nicht gut lesbar. Dieses Meme (Abb. 28), das ein Porträt von Heinrich Himmler mit dem Text „Digger weißt du wie“ und „weißt du wie unnatürlich Impfen ist?“ kombiniert, muss ironisch und als Kritik an Impfgegnern gelesen werden. Vermutlich spielt das Meme auf die schon bei den Nazis antisemitisch geprägte Anti-Impfbewegung an. Neben diesen provokanten Versionen werden immer wieder Memes gepostet, die absurd wirken, aber wie in diesem Fall Konsumkritik üben (Abb. 29).

Der Account loweffortcommunistmemes weist Ähnlichkeiten zu dem Account dialektische_memes auf, da er inhaltlich eine radikale politische Sprache benutzt und in der Bildsprache sowie im Humor absurd und provozieren ist. Dieser Post (Abb. 30) zeigt den Meme-Charakter Pepe the Frog, der den auf dem Boden liegenden Meme-Charakter Wojak mit einem Hammer erschlägt. Dieser Wojak wird durch den Text im Bild als „Identitätspolitik-Opfer“ bezeichnet. Das Kachelmuster erinnert an Photoshop: Auf der Anwendungsebene dieser Software wird durch das Muster angezeigt, dass der Hintergrund durchsichtig ist. Bei einem verarbeiteten Foto wäre dieses Muster aber in den meisten Ansichten nicht sichtbar, sondern weiß oder schwarz, je nach Voreinstellung. Dieses Meme zeigt bewusst durch eigene Bildbearbeitung eine fiktive Bearbeitungsebene. Hier werden eine radikale politische Botschaft (töte Menschen, die Identitätspolitik aufgrund von individuellen Erfahrungen gut finden und Marx und Engels nicht verstehen) mit einer absurden und trashigen Bildsprache kombiniert. Wichtig ist, dass die politische Botschaft nicht durch den vermeintlich rechten Pepe the Frog transportiert wird. Er steht hier für die Person, die diese Memes produziert und somit links einzuordnen ist. All diese inhaltlichen Aussagen, die durch die verschiedenen Meme-Charaktere gemacht werden, sind für Außenstehende schwierig zu verstehen. Die Verweise auf andere Memes müssen bekannt sein — ebenso wie die Möglichkeit der ironischen Umkehrung dieser Verweise.

Alle untersuchten linken Accounts vereint, dass sie der sehr diversen Sprache der Meme- und Internet-Welt mächtig sind und sie dafür benutzen, ihre Inhalte auf der Plattform Instagram zu teilen und zu verbreiten. Sie unterscheiden sich damit von Instagram-Accounts, die zwar politische Inhalte teilen, dafür aber keine Memes benutzen, sondern eine klassische politische Bildsprache. Die Botschaften der politischen Meme-Accounts sind in die Syntax von Memes eingebettet und können nur gelesen werden, wenn diese Regeln bekannt sind.
Diese beiden Beiträge (Abb. 31, Abb. 32) behandeln das Thema Deutschlandkritik und stehen beispielhaft für die Unterschiede zwischen Instagram-Accounts, die entweder mit Memes oder ohne Memes kommunizieren: Der Beitrag des Accounts bongpisse zeigt ein Meme, das fehlende Selbstkritik bei linken Themen in Deutschland thematisiert, denn bestimmte Probleme werden in Deutschland ignoriert, aber im Rest der Welt angeprangert. Der Beitrag des Accounts anarcha_feminism161 zeigt eine typische Darstellung der Antifa, die man als Kritik an fehlender Abgrenzung Deutschlands nach rechts interpretieren kann. Hier wird deutlich, dass die linken Meme-Accounts sich der auf Internet-Plattformen gängigen Memesprache und nicht der typischen Bildsprache der Linken und anderen politischen Gruppen bedienen. Der Grund dafür ist meiner Einschätzung nach, dass sie versuchen, junge Menschen in ihrer Altersgruppe, die diese Sprache auch beherrschen, mit ihren Botschaften zu erreichen. 106 Daher benutzen sie die Bildsprache von Memes, berufen sich auf die Meme-Traditionen und führen diese fort. Viele ältere (oder nicht an Internet-Kommunikation teilnehmende) Personen sind von dieser Art der Kommunikation ausgeschlossen. Sie können wahrscheinlich die klassischere Bildsprache der Antifa besser einordnen und interpretieren.



The Left Can’t Meme?

Die meisten Accounts der Antifa oder anderen linken Gruppen auf Instagram benutzen keine memetische Bildsprache. Ihre geteilten Inhalte erinnern an politische Plakate und zeigen Fotos von aktivistischen Aktionen, oder sie benutzen Text-Bild-Kombinationen, die sich visuell von Memes unterscheiden. Einige Accounts, wie zum Beispiel hauptsache.links, vermischen die Bildsprache von Memes und traditionelleren politischen Bildern, dort werden Memeformate und Fotos von Plakaten und Demonstrationen gezeigt. Die meisten linken Meme- Accounts bedienen sich aber in ihrer Bildlichkeit der Tradition von Memes und Internet-Culture.

Die Medienpsychologin Anne Leiser beschreibt in ihrer Studie „Erkenntnisse der empirischen Meme-Forschung: Nutzen und Wirkung von politischen Internet-Memes aus Nutzerperspektive“ wichtige Faktoren für politische Teilhabe anhand von Memes, die hier zutreffen: Der Humor spielt eine große Rolle beim Einstieg junger Menschen in politische Themen. Durch linke Memes werden Personen, die deren Sprache mächtig sind, auf eine spielerische Art angesprochen und politischen Themen näher gebracht. Bei kontroversen oder provozierenden Inhalten ist es leichter, sich hinter dem Humor und der Ironie zu verstecken und vorzufühlen, wie andere Benutzer_innen reagieren. Zusätzlich werden gegensätzliche Meinungen öfter toleriert, wenn ähnliche Memes verwendet werden. So könnte meiner Einschätzung nach ein größerer Austausch stattfinden zwischen gegnerischen Strömungen, die Memes anwenden und lesen können. 107

Der „Vorwurf“ an linke Meme-Produzierende, nicht radikal, absurd und provozierend zu sein (The Left Can’t Meme) , lässt sich nicht bestätigen. Linke Memes bewegen sich ebenso wie rechte Memes auf einem Spektrum, das von harmlos bis provozierend und beleidigend reicht. Sehr gemäßigt ist zum Beispiel wie oben gezeigt die Kritik der weniger radikalen Accounts an bestimmten Parteien. Diese Kritik wird durch Memes transportiert, die nicht beleidigend oder schwierig zu verstehen sind. Im Kontrast dazu werden Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, auf den radikaleren Accounts mit prominenten Nazis wie Heinrich Himmler verglichen, oder es wird zum Mord an heuchlerischen Identitätspolitik-Befürworter_innen aufgerufen. Diese radikalen Memes wirken für Außenstehende sehr provozierend oder unverständlich. Für die Ingroup, die die dargestellte Ironie erkennen und interpretieren kann, vermutlich weniger.

Viele dieser geteilten Memes sind radikal und problematisch, womit meiner Einschätzung nach versucht wird, ein junges und politisch interessiertes Publikum zu erreichen. Die provozierenden Aussagen, das Benutzen von memetischer Bildsprache und die große Kreativität werden hauptsächlich von dieser Altersgruppe verstanden und konsumiert. Auffällig in meiner kleinen Untersuchungsgruppe war es, dass die älteren Personen (über 25) die radikaleren Accounts bespielen und die jüngeren Personen (unter 20) harmlosere Inhalte teilen. 108 Provozierende Inhalte sind demnach nicht nur Teil des Ausprobierens von jugendlichen Nutzer_innen, sondern beziehen sich auf die Tradition des Meme-Produzierens am Rande des guten Geschmacks. Diese Faktoren begünstigen laut den Kommunikationswissenschaftler_innen Whitney Philipps und Ryan M. Milner die Gemeinschaftsbildung durch konstitutiven Humor: Außenstehende haben zwar eine große Hürde, in diese einen eigenen Humor und eine eigene Sprache teilende Ingroup zu gelangen, Personen innerhalb dieser Gruppe schweißen diese Eigenheiten aber besonders zusammen.109 Die Ingroup bezieht sich hier nicht nur auf die politischen Lager, sondern muss das gesamte politische Spektrum mit einbeziehen. Alle politischen Lager benutzen in dieser jungen Altersklasse Memes. Wenn alle die selbe Sprache sprechen, bietet das mehr Chancen für einen Dialog.

Man könnte sagen, der Zweck heiligt hier die Mittel, denn durch diese mitunter problematischen Witze der linken Accounts werden inklusive und gerechtere Werte vermittelt. Vor allem, weil diese provokante Art zu kommunizieren einer langen Tradition innerhalb der Subkulturen des Internets folgt, die auch in der Bildsprache der gemäßigteren Memes präsent ist. Oder ist das Nachahmen dieser Praxis ein Einknicken vor dem problematischen Verhalten, das von rechten Nutzer_innen ausgeht? Meiner Einschätzung nach bietet diese Art, eine politische Agenda zu kommunizieren, großes Potential bei der Heranführung junger Menschen an linke Themen, da die Sprache der Memes und die Art des Humors genau auf diese Altersgruppen zugeschnitten ist. Oft wird kritisiert, dass Memes dafür ungeeignet sind, weil die Kommunikation im Internet in ein kapitalistisches Netzwerk eingebettet ist, das von Eliten zur Machterhaltung benutzt wird und somit keinem linksgerichteten Radikalismus dienen kann110 . Andere verweisen auf den Vorteil rechter Bewegungen, die durch eine provokante Bildsprache Debatten für sich beanspruchen können. Beides scheint mir nicht zutreffend, da diese deutschen Meme-Accounts eine wichtige Arbeit bei der Heranführung an linke Themen durch spielerische Teilhabe an einer sehr breiten, differenzierten Debatte leisten und durch ihre Radikalität den rechten Bewegungen in kaum etwas nachstehen. Um linke Themen unter jungen Menschen im Internet zu verbreiten, bedarf es Inhalte, die keine starke Werbeästhetik haben und sich von klassischer politischer Bildung unterscheiden. Linke Meme-Produzent_innen überlassen rechten Akteur_innen nicht einfach das Feld, sondern begeben sich mitten hinein und schlagen sie mit ihren eigenen Waffen.

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94 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/the-left-cant-meme, gesehen am 19.09.2021. 95 Abgesehen von Memes, die eindeutig diskriminierende Darstellungen zeigen, oder deren Grundlage ein diskriminierendes Foto/Video ist. 96Joshua Citarella: Politigram. Publiziert auf http://joshuacitarella.com/_pdf/Politigram_Post- left_2018_short.pdf,veröffentlicht 2018, 5. 97 Subreddits sind Unterforen der Website Reddit 98 O. V.: How socialists are seizing the memes of production. Here comes comrade boi, 2016, www.dailydot.com/unclick/socialists-seizing-memes-production/, gesehen am 19.09.2021. 99 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/bernie-or-hillary, gesehen am 19.09.2021. 100 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/communist-bugs-bunny, gesehen am 19.09.2021. 101 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/arachno-communism, gesehen am 19.09.2021. 102 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/wojak, gesehen am 19.09.2021. 103 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/subcultures/rage-comics, gesehen am 19.09.2021.104 Joshua Citarella: Politigram. Publiziert auf http://joshuacitarella.com/_pdf/Politigram_Post- left_2018_short.pdf,veröffentlicht 2018, 25-29.105 Joshua Citarella: Marxist memes for TikTok teens: can the internet radicalize teenagers for the left?, 2020, www.theguardian.com/commentisfree/2020/sep/12/marxist-memes-tiktok-teens-radical- left, gesehen am 19.09.2021.106 Nach eigener Auskunft liegt der Altersdurchschnitt der 10 Accounts, die mir geantwortet haben bei 23. 107 Anne Leiser: Erkenntnisse der empirischen Meme-Forschung: Nutzen und Wirkung von politischen Internet-Memes aus Nutzerperspektive, in: Lars Bülow, Michael Johann (Hg.): Politische Internet- Memes – Theoretische Herausforderungen und empirische Befunde, Berlin 2019, 239-242. 108 Joshua Citarella schreibt in seinem Artikel „Marxist memes for TikTok teens: can the internet radicalize teenagers for the left?“, dass die meisten linken Memeaccount-Betreiber_innen, denen er während seiner Recherche begegnet ist, kaum älter als 25 sind. 109 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 99.110 Geert Lovink: Digitaler Nihilismus. Thesen zur dunklen Seite der Plattformen, Bielefeld 2019, 193.