Deep Fried-Memes und das digitale Bild

Viele Memes, die in den sozialen Medien geteilt werden, sind simpel aufgebaut und verständlich: Eine digitale Fotografie mit darüber gelegtem Text können viele Internet-Nutzer_innen einfach einordnen. Ein ebenso großer Teil der zirkulierenden Memes erscheint Außenstehenden jedoch oft seltsam, befremdlich oder unverständlich, da ihre visuelle Sprache hermetisch ist. Innerhalb von Gruppen, die sich vor allem mit Memes verständigen und sich meist außerhalb des Internet- Mainstreams befinden, sind es aber genau diese seltsam anmutenden Bild-Text- Kombinationen, die der Kommunikation und der Erzeugung eines (subkulturellen) Gemeinschaftsgefühls dienen. Ich möchte mich in diesem Text den sogenannten Deep Fried-Memes widmen und sie mit kunst- und medientheoretischen Diskursen in Verbindung setzen.


Was sind Deep Fried Memes?

Deep Fried Memes (eine bestimmte Meme-Subkategorie, deren wichtigste Merkmale eine schlechte visuelle Qualität, Nonsenshumor und multiple Ebenen von Ironie sind) stechen durch ihre Merkwürdigkeit besonders hervor (Abb. 1. Für Ansicht Klicken). Laut Knowyourmeme und Reddit wurde der Begriff Deep Fried ab 2015 auf Tumblr und Black Twitter111 etabliert. 112 Diese Art von Gestaltung verbreitete sich anschließend in den meisten Kommunikationsräumen im Internet und wird heute noch explizit in der Tradition der ursprünglichen Deep Fried Memes benutzt.
Ihre visuellen Merkmale sind ein Spiel mit den Bearbeitungsmöglichkeiten von digitalen Bildern: Eigenschaften wie die Sättigung, der Kontrast und die Schärfe werden mit Hilfe von Werkzeugen wie Photoshop und ähnlicher Software entgegen ihres eigentlichen Nutzens verändert und verzerrt. Das Ziel dieser Bearbeitung ist es nicht, das ursprüngliche Bild besser aussehen zu lassen, sondern die Parameter so zu verschieben, dass das Endprodukt extreme Farbunterschiede, Bildfehler (z.B. Rauschen) und Artefakte (z.B. durch wiederholtes Benutzen von Schärfefiltern) aufweist. Nach dieser Bearbeitung wird die Datei möglichst oft im .jpg-Format gespeichert, was jedes Mal eine Komprimierung der Bilddatei, eine Zusammenfassung von farblich gleichen nebeneinanderliegenden Pixeln und somit einen Qualitätsverlust bedeutet.


Ein beliebtes Farbschema ist ein gelber Farbstich, der an frittierte Speisen erinnern soll.113 Den Bearbeitungsmöglichkeiten sind aber keine Grenzen gesetzt, jedes andere Farbschema ist denkbar. Häufig werden Smileys und Verzeichnungs- oder Strudeleffekte eingesetzt. Das Gesamtkonzept könnte man als Internet-Trash im Meme-Format bezeichnen.

Thematisch lässt sich bei den Deep Fried Memes insofern eine einheitliche Linie erkennen, als sie mehrheitlich von absurdem, sinnfreiem und nahezu nihilistischem Humor geprägt sind. Diese Art von Humor - die sich auf die Absurdität der immer neu gemixten visuellen Inhalte stützt und oft keine tiefere Bedeutung hat - wird als Millennial Humor bezeichnet.114 Dabei müssen jüngere Generationen ebenfalls mit einbezogen werden, vor allem die sogenannte Generation Z, die laut dem Künstler Joshua Citarella, die Millennials als prägende Generation im Internet ablöst. 115 Zwischen beiden Generationen gibt es große Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten: Sie eint der nihilistische und ironische Humor 116, aber auch die Angewohnheit, viel offener als frühere Generationen über ihre Gefühle zu sprechen.117 Als Erklärung für ihre pessimistische Weltsicht werden unter anderem die ungewisse wirtschaftliche Lage, die drohende Umweltkatastrophe und eine allgemeine Abkehr von gesellschaftlichen Konventionen (wie Religion und Familie) angeführt. 118 Der Autor Dale Beran beschreibt in seinem Buch „It came from something awful“ eine noch düsterere, zynischere und nihilistischere Weltsicht in den Internet-Subkulturen der jungen Generationen.119


Woher kommen Deep Fried-Memes?

Viele frühe Deep Fried Memes wurden im Zusammenhang mit dem oft auf Black Twitter benutzten Ausdruck Real N**** Hours verwendet, der das Nutzen von Kommunikationsplattformen in den frühen Morgenstunden meint. Meistens wird damit ironisch auf Nutzer_innen angespielt, die einen problematischen Internet- Konsum zeigen, indem sie spät nachts Memes posten. Der Ausdruck kann auch eine ehrenvolle Bezeichnung für Personen sein, die mit großem Aufwand - also ebenfalls spät nachts - noch Memes teilen und dafür besondere Aufmerksamkeit erhalten sollten.120 Wie so oft ist es bei Internetkommunikation aufgrund des oft zitierten Poe’s Law 121 schwierig die ursprüngliche Aussage zu interpretieren.

Ein Beispiel, das als bekanntes Deep Fried Meme gilt und exemplarisch für den absurden Millennial Humor steht, ist das E oder Lord Marquaad Meme: Seinen Ursprung hat es 2015, als auf Twitter ein Bild geteilt wird, bei dem das Gesicht des Youtubers Markiplier in einem Screenshot des Films Shrek auf den Kopf des Filmcharakters Lord Farquaard montiert wurde (Abb. 2). 2018 zeigte ein auf diese Art von Memes spezialisierter Tumblr Blog eine Deep Fried Version des Bildes, bei dem zusätzlich der Buchstabe E im unteren Bildteil angebracht wurde (Abb. 3). Aufgrund des absurden und nichtssagenden Humors (die Bildbearbeitungen scheinen keinen tieferen Sinn zu haben) wurde E bei Memes then, Memes now Memes benutzt, um zu zeigen, wie sich diese mit den Jahren inhaltlich und visuell verändert haben (Abb. 4)122 Die Aussage von Memes then, Memes now ist, dass diese früher leicht verständliche Bildwitze waren, während zeitgenössische Memes absurd, trashig, ironisch und somit unverständlich sind.123 Im weiteren Verlauf des Jahres 2018 wurde eine neue Version des E Memes auf Reddit gepostet, das den Lord Farquaard-Markiplier Remix auf ein Foto von Mark Zuckerberg während seiner Aussage vor dem US-Kongress im Jahr 2018 montiert zeigt (Abb. 5) 124 Dieses Version ist ebenfalls Deep Fried und taucht in einem anderen Meme- Format auf, dessen Vorlage (ein Screenshot eines Washington Post Artikels aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Why is Millennial Humor So Weird?“) auch als Quelle für diesen Text dient. Das E Meme mit der Mark Zuckerberg Vorlage ist hier als angebliches Titelbild des Artikels in den Screenshot montiert um sich damit auf einer weiteren Ironieebene über die Thematik lustig zu machen und schließt damit selbstreferenziell den Kreis, den die Autorin mit ihrem Artikel begonnen hat. (Abb. 6) Das E Meme mutierte im Jahr 2018 immer weiter und es entstanden etliche mehr oder weniger Deep Fried-Versionen, in denen Markipliers Gesicht auf Charaktere aus der Popkultur montiert wurde und mit einem anscheinend zufälligen Buchstaben (anstelle des E’s) versehen waren (Abb. 7).


Gemeinschaftsbildung durch frittierte Bilder

Die Sozialwissenschaften sprechen bei Identitätsbildungen von Ingroups und Outgroups. Eine Ingroup muss sich von ihrer Umwelt — also der Outgroup —- differenzieren, um eine eigene Identität zu schaffen. Deep Fried Memes dienen innerhalb der Gruppen, die mit Memes kommunizieren, einer Gemeinschafts- bildung durch konstitutiven Humor, worauf die Kommunikationswissen- schaftler_innen Whitney Philipps und Ryan M. Milner in ihrem Buch „The Ambivalent Internet“ hinweisen: „[constitutive humor] is generative because it weaves an influx of new experiences, references, and often highly fetishized jokes into a collective us.“125 Fetishized soll bedeuten, dass die emotionalen, politischen oder kulturellen Anspielungen verschleiert werden, was es den Teilnehmer_innen der Ingroup erlaubt, sich nur auf den transportierten Witz zu konzentrieren. Die Gefühle oder Befindlichkeiten derjenigen, die zur Outgroup gehören, werden ausgeblendet.126 Durch das Ignorieren der nicht dazugehörigen Personen und der gemeinsamen Verarbeitung von neuen Erfahrungen und Referenzen wird die Ingroup geformt.
Bei Deep Fried Memes umfasst diese den Witz verstehende Gruppe vor allem Millenials und die Generation Z, die mit dem Internet und den dazugehörigen Kommunikationsformen aufgewachsen sind. Zwar können auch Angehörige älterer Generationen an Internetkommunikation teilnehmen, mit Memes kommunizieren und darüber lachen, sie sind aber deutlich in der Unterzahl. Vor allem die Deep Fried Memes weisen eine besonders hohe Einstiegshürde auf und funktionieren über ihre besonderen visuellen Qualitäten. Durch das Erkennen ihrer typischen visuellen Merkmale ist es Nutzer_innen im Internet beim ersten Anblick sofort verständlich, um welche Art von Meme es sich hier handelt und mit welchem Humor oder Inhalt zu rechnen ist.


Obwohl Hito Steyerl in ihrem Text „In Defense of the Poor Image“ hauptsächlich auf bewegte Bilder mit schlechter digitaler Qualität eingeht, möchte ich versuchen ihre Ausführungen auf Memes (insbesondere Deep Fried Memes) zu beziehen, da Steyerl im Bezug auf das arme Bild von einer Gemeinschaftsbildung spricht. 127 Sie beschreibt in ihrem Text die Bildqualität des armen Bildes als etwas verzerrtes, heruntergerechnetes, das sich vom Original bereits weit entfernt hat und dadurch eine eigene visuelle Qualität enthält:

„The poor image is an illicit fifth-generation bastard of an original image. Its genealogy is dubious. Its filenames are deliberately misspelled. It often defies patrimony, national culture, or indeed copyright. It is passed on as a lure, a decoy, an index, or as a reminder of its former visual self. It mocks the promises of digital technology. Not only is it often degraded to the point of being just a hurried blur, one even doubts whether it could be called an image at all. Only digital technology could produce such a dilapidated image in the first place.“128

Diese Gedanken Steyerls lassen sich auf die Qualitäten der Deep Fried Memes übertragen. Der erste Teil des Zitats erinnert an die Eigenheiten von Meme- Produzent_innen: Es ist egal, woher die Ursprungsbilder stammen, wem sie gehören und was sie aussagen. Mit einer großen Bestimmtheit werden eigene Inhalte neu gemixt und erschaffen, basierend auf der Leitkultur/Popkultur. Dabei ist es unwichtig, ob bestehende Regeln eingehalten werden, wie der Fokus auf gute Qualität 129 oder auf Rechtschreibung — der schon etwas ältere Begriff Lolspeak130 ist das Äquivalent zu Deep Fried-Memes auf Textebene. Der mittlere Teil des Zitats lässt sich auf die weiter oben beschriebene Gruppenbildung beziehen. Meme- Produzent_innen benutzen Deep Fried-Memes als Köder, sie gehen davon aus, dass ihre geteilten Inhalte auf Unverständnis bei denen stoßen, die nicht ihrer Gruppe angehören. Dadurch festigen sie ihre Ingroup durch Humor, verstoßen aber Mitglieder der Outgroup durch ihre codierten Memes. Der letzte Teil des Zitats ist hier so zu deuten, dass die Endprodukte auf einer Gemeinschaftsleistung unzähliger Nutzer_innen basieren. Diese Produkte sind jedoch erst mit Hilfe der digitalen Technik möglich geworden: Nur durch die Digitalisierung und die sozialen Netzwerke können Memes in dieser Form permanent mutieren oder können kulturelle Inhalte ständig neu interpretiert und neu produziert werden.131 Für Deep Fried Memes sind die gängigen Bildbearbeitungswerkzeuge wichtig, ebenso wie die dafür geltenden Normen, die von den Usern gebrochen oder ad absurdum geführt werden möchten.

Steyerl verbindet zum Ende ihres Textes den Begriff des armen Bildes mit dem Konzept der Visual Bonds des kommunistischen Regisseurs Dziga Vertov. Visual Bonds sind visuelle Erkennungsmerkmale, mit denen sich laut Vertov Kommunist_innen gegenseitig erkennen können. Steyerl beschreibt arme Bilder zum einen als Teil des globalen Informationskapitalismus, aber auch als Möglichkeit, subversive und subkulturelle Kommunikation und Filesharing zu betreiben132 . Memes widersetzen sich als Fortschreibung des armen Bildes zum Teil diesem Informationskapitalismus und formen eine eigene subkulturelle und gemeinschaftsstiftende Sprache. Es entwickelt sich eine Ikonografie, die ebenso wie Visual Bonds eine Verbindung zwischen den Nutzer_innen bilden. Steyerls Satz „Comrade, what is your visual bond today?“133 könnte also auf die tägliche Kommunikation mit Hilfe von Memes zwischen bestimmten subkulturellen Gruppen oder Generationen bezogen werden, die sich gegenseitig anhand der visuellen Codes und Verbindungen erkennen und sich im von Philipps und Milner beschriebenen Konzept der exklusiven Gemeinschaftsbildung spiegeln.134


Memes als Operationen?

Im Kapitel „Die Kultur des Sharing oder die Rache der Vielen“ seines Buches „Das geteilte Bild“ bezieht sich André Gunthert im Hinblick auf die digitale Fotografie und die damit verknüpften Netzwerkeffekte des Internets ebenfalls auf die große Masse der Nutzer_innen, die durch das Teilen von Inhalten eine Gemeinschaft bilden. Er beschreibt eine neue kulturelle Praxis und Kommunikation, die aufgrund der Möglichkeit, Daten und Bilder nahezu uneingeschränkt teilen zu können, nicht mehr von einigen wenigen Personen, sondern von einer großen Gruppe kontrolliert werden:

„In den Jahren seit der Jahrtausendwende ist es offensichtlich geworden, dass ein Paradigmenwechsel von vergleichbarer Trageweite in Gang war. Das Internet und vor allem das interaktive Web waren dabei, die kulturellen Praktiken tiefgreifend zu verändern. Während die geregelte Zirkulation geistiger Werke es ermöglicht hatte, die Kontrolle über sie zu behalten, begünstigte die neue Fluidität der kulturellen Güter ihre Aneignung außerhalb von juristischen oder kommerziellen Zusammenhängen. Der Akt des Sharing selbst ist zur Signatur kultureller Operationen geworden.“135

Memes entstehen durch diese neuen Möglichkeiten des Teilens und ihres evolutionären Charakters. Einzelne Personen können (in den meisten Fällen) nicht im Alleingang ein Meme bekannt machen, es braucht dafür eine Gruppe an Nutzer_innen, die es für gut befinden, bearbeiten und verbreiten. Das Mutieren der Memes, das durch ihre Bearbeitung und Neukontextualisierung stattfindet, ist ein kreativer Prozess, der ebenfalls auf der Größe der Gruppe und nicht auf einzelnen Personen beruht. Die schwer zugänglichen Deep Fried Memes spiegeln also nicht nur den Geschmack einzelner Personen wieder, sondern den einer sehr großen Gemeinschaft. Gunthert versteht den Akt des Teilens als „Signatur kultureller Operationen“, es ist also inhärenter Teil der gegenwärtigen kulturellen Praxen und besitzt dabei eine eigene Wirkmacht, die sich durch die Masse der Nutzer_innen potenziert.

Diese Agency des geteilten Bildes spiegelt sich in medientechnologischen Diskursen der letzten Jahre, in denen zunehmend von sogenannten „operativen Bildern“ gesprochen wird. Aud Sissel Hoel fasst in ihrem Überblickstext „Operative Images. Inroads to a New Paradigm of Media Theory“, verschiedene Ansätze zu diesem Thema zusammen, von denen ich einige mit (Deep Fried) Memes verknüpfen möchte. Auch wenn das Konzept der operativen Bilder noch nicht komplett abgesteckt ist 136, ist die Idee einer spezifischen Wirkmacht zirkulierender Bilder für die Funktions- und Rezeptionsweise von Memes interessant.
Der Begriff operative Bilder wurde von Harun Farocki und seinen Rezipient_innen geprägt. Operative Bilder werden als Teil einer Handlung und nicht mehr nur als visuelle Repräsentation beschrieben, die Maschinen und die von ihnen angefertigten Bilder werden zu Akteuren. 137 In dieser Definition sind die operativen Bilder nicht mehr für den Menschen lesbar, sondern dienen ausschließlich der Kommunikation zwischen Maschinen. 138 Memes unterscheiden sich in dieser Lesart des Begriffs durch ihre visuelle Interpretierbarkeit und durch die nötige menschliche Interaktion.


Andere Ansätze zu operativen Bildern beziehen sich treffender auf Merkmale von Memes: William Uricchio nennt die algorithmische Herstellung von digitalen Bildern als essentiell im Vergleich zu analogen Bildern139 . Eine ähnliche Definition von Ingrid Hoelzl und Rémi Marie fasst Hoel wie folgt zusammen:

„Because of this shift, the image is “no longer a passive and fixed representational form, but is active and multiplatform, endowed with a signaletic temporality that is not only the result of digital screening (or compression), but also a transfer acrossdigital networks”. This implies that the image is “no longer a stable representation of the world, but a programmable view of a database that is updated in real- time”, and hence, that it “no longer functions as a (political and iconic) representation, but plays a vital role in synchronic data-to-data relationships”.140

Memes sind ebenso dynamisch und veränderbar wie das im Zitat beschriebene digitale Bild. Die visuellen Inhalte sind ständig im Wandel und spiegeln nur einen kurzen Schnappschuss der Kultur, der Kommunikation und der Ikonografie wieder. Wie auch bei Gunthert beschrieben, entstehen Memes erst durch ihre Verbreitung. Der wichtigste Akteur bei der Verbreitung und Herstellung ist nicht der einzelne Mensch, sondern die Zusammenarbeit vom Kollektiv und Kommunikationsinfrastruktur der Verbreitungsplattformen. Einzelne Menschen üben nur in einem kurzen Augenblick Einfluss aus, nämlich wenn sie liken, sharen, verändern oder durch Zufall ein Meme „erfinden“, dass großen Anklang findet und somit weiter zirkulieren kann.
Hoel fasst in ihrem Text weitere Ansätze zu operativen Bildern zusammen, die auch Menschen als Handelnde mit einbeziehen. Sie beschreibt den Standpunkt von Jens Eder und Charlotte Klonk, die aus der Sicht der „visual studies“ argumentieren.141 Dieser Ansatz soll eine Erweiterung der Diskurse über Bildmodalitäten sein.142 Eder und Klonk nehmen Bilder als Beispiele, die nach ihrer Veröffentlichung auf digitalen Plattformen auf physische Welt und anschließende Diskurse einwirkten. Sie stellen vor allem politische Bilder heraus, die auf große Gruppen Einfluss nehmen können.143 Die visuellen Informationen der Bilder stehen dabei im Vordergrund, ebenso wichtig sind aber auch durch das Internet auftretende Effekte: Digitale Kommunikation verstärkt im Vergleich zur analogen Kommunikation das Ausmaß einer Diskussion, die Verbreitungsgeschwindigkeit, die Reichweite und das Konfliktpotential.144 Eder und Klonk lassen die Frage, wer bei diesen Aktionen operiert, unbeantwortet. Sie attestieren sowohl Menschen als auch Bildern die Möglichkeit, aktiv zu sein.145 Memes üben ebenfalls Einfluss auf das reale Leben aus, indem sie politischen Strömungen wie der Alt-Right Momentum in einer Debatte verleihen können (siehe dazu das Kapitel „Rechte Aneignung“). Die visuellen Informationen spielen dabei als lesbare Codes eine ebenso große Rolle wie die Kommunikationsinfrastruktur und somit die Verbreitungsmöglichkeiten und die Reichweite.


Lev Manovich beschreibt digitale Medien im Gegensatz zu analogen Medien als programmierbare Daten. Digitale Bilder bestehen aus numerischem Code und sind somit theoretisch unendlich manipulierbar durch digitale Software und Algorithmen. Manovich unterscheidet bei digitalen Bildern außerdem eine kulturelle Ebene (die für Menschen lesbar ist) von einer Computerebene (die aus numerischen Ziffern besteht).146 Zu der Spannung zwischen der kulturellen Ebene und der Computerebene lässt sich ein der Thermodynamik entlehnter Vergleich von Wolfgang Hager heranziehen: Analoge Bilder sind Medien mit hoher Entropie. In einem geschlossenen System bedeutet eine zunehmende Entropie, dass Prozesse irreversibel sind. Die Entropie kann nur zunehmen und nicht abnehmen. Der belichtete Abzug eines analogen Fotos lässt sich nicht mehr in seine Ursprungsbestandteile (Licht und lichtempfindliche Materialien als Zustand von geringerer Entropie) zurückführen. Dieser Prozess wird als zunehmende Unordnung bezeichnet. Digitale Bilder lassen sich im Gegensatz zu analogen Fotos theoretisch immer wieder in ihrem Ursprungszustand zurückversetzen und weisen so eine geringe oder keine Entropie auf.147 Die reversible Computerebene prägt durch ihre eigene Systematik die kulturelle Ebene und ihr Aussehen: Die hinter den Pixeln stehenden Informationen bestimmen, was zu sehen ist.

Deep Fried Memes machen die Beziehungen zwischen Manovichs kultureller Ebene und Computerebene sichtbar. Auf der kulturellen Ebene vollziehen sich die weiter oben beschriebenen zwischenmenschlichen Prozesse — wie zum Beispiel der transportiere Humor — die Computerebene wird aber gleichzeitig auch auf der kulturellen, visuellen Ebene thematisiert. Ähnlich wie Hito Steyerl schreibt: „It mocks the promises of digital technology“148, setzen sich Deep Fried Memes mit der eigentlich für uns nicht lesbaren Computerebene auseinander und persiflieren diese. Die Bildfehler, die eigentlich mit gängigen Bearbeitungsprogrammen und immer besserer algorithmischer Bildverarbeitungen verhindert werden sollen, sind bei Deep Fried-Memes hervorgehoben und auf die Spitze getrieben. Es scheint so, als ob Deep Fried-Meme-Produzent_innen sich mit dem nur für Computer sichtbaren Code auseinandersetzen. Auch Hagers Entropie-Vergleich wird bei Deep Fried-Memes thematisiert, indem Bearbeitungsfehler von digitalen Medien hervorgehoben werden. Die Unordnung von Deep Fried-Memes ist auf der kulturellen (sichtbaren) Ebene hoch, lässt sich aber mit Hilfe der Computerebene theoretisch wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzen, auch wenn es bedeutet, jeden einzelnen Pixel auszutauschen.


Memes und das digitale Foto

Es gibt verschiedene Ansätze, digitale Bilder zu beschreiben und sie in eine Tradition der analogen Fotografie einzubetten, sie davon zu distanzieren, oder ihnen eine eigene Handlungsabsicht zuzuschreiben. Memes lassen sich in diese Debatte integrieren, da sie im Vergleich mit analogen Fotografien neben ihren visuellen Informationen vielfältige Aufgaben erfüllen. Beide Ebenen - also die kulturelle und die Computerebene - sind nötig für die Funktionsweise von Memes. Das, was ein Meme zeigt, ist zwar wichtig für die einzelne Person, jedoch nicht für die darunter liegende Technik. Für diese ist lediglich die Reduktion auf eine digitale Zeichenabfolge entscheidend, damit das digitale Bild komprimiert, verpackt und im Netzwerk versendet werden kann. Personen entscheiden in dem Moment des Betrachtens, ob ein Meme verbreitet, verändert oder vergessen wird, der Rest funktioniert nach den Regeln der spezifischen Internet-Plattformen. Die Digitalisierung bildet die Grundlage einer neuen Art zu kommunizieren. Obwohl es Gruppen gibt, die nicht daran teilhaben, könnte man von einer demokratischen Kommunikation sprechen, auch wenn dieser Gedanke bedeutet, dass rassistische und toxische Inhalte immer noch Teil unserer Gesellschaft sind. Memes bilden nicht die Meinung und den Geschmack einzelner Personen ab, sondern die einer Mehrheit der an einer Debatte teilhabenden Nutzer_innen, da sie sonst nicht weiter verbreitet worden wären. 149 Auf der visuellen, menschlichen Ebene erscheinen Memes wie oben beschrieben für Außenstehende seltsam und unverständlich. Trotzdem lassen sich die visuellen Inhalte in eine Tradition der früheren, analogen Bilder einordnen. Viele Memes beruhen auf digitalen Fotografien, die im Grunde dieselben visuellen Parameter wie analoge Fotografien aufweisen. Auch die Art, Inhalte zu mischen und neu zu interpretieren, lässt sich mit dadaistischen Collagen oder Fotomanipulationen von John Heartfield vergleichen, bei denen unzusammenhängende Ausschnitte aus gefundenen Materialien als Remix neu arrangiert werden. Selbst der sogenannte Deep Fried-Filter erinnert an das Rauschen von analogen Fotografien, das oft auch als Stilmittel benutzt wurde - besonders zeitgenössische analoge Fotos scheinen die Grobkörnigkeit hervorzuheben. Die klassischen Parameter einer Fotografie haben sich in diese neue Kommunikationsart eingeschrieben und werden durch die Masse an Meme-Mutationen immer wieder neu verhandelt, neu interpretiert und vermischt.

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111 Black Twitter ist eine nicht offizielle Gemeinschaft auf Twitter, die sich über Hashtags verbindet. Über #blacktwitter kommunizieren seit den 2010er Jahren Minderheiten aktivistische oder alltägliche Themen. (https://en.wikipedia.org/wiki/Black_Twitter und www.urbandictionary.com/define.php? term=Black%20Twitter) 112 Adam: Deep Fried Memes, 2017, www.knowyourmeme.com/memes/deep-fried-memes, gesehen am, 19.09.2021. 113 Memegod420: deep fried meme, 2016, www.urbandictionary.com/define.php? term=deep+fried+meme, gesehen am 19.09.2021. 114 Elizabeth Bruenig: Why is millennial humor so weird?, 2017, www.washingtonpost.com/outlook/ why-is-millennial-humor-so-weird/2017/08/11/64af9cae-7dd5-11e7-83c7-5bd5460f0d7e_story.html, gesehen am 19.09.2021.115 Joshua Citarella: Welcome to TikTok, the Wildly Popular Video App Where Gen Z Makes the Rules , 2018, www.artsy.net/article/artsy-editorial-tiktok-wildly-popular-video-app-gen-rules, gesehen am 19.09.2021. 116 Joshua Citarella: IRONY POLITICS & GEN Z, 2019, https://newmodels.io/proprietary/irony-politics- gen-z-2019-citarella, gesehen am 19.09.2021. 117 Geert Lovink: Digitaler Nihilismus. Thesen zur dunklen Seite der Plattformen, Bielefeld 2019, 90. 118 Elizabeth Bruenig: Why is millennial humor so weird?, 2017, www.washingtonpost.com/outlook/ why-is-millennial-humor-so-weird/2017/08/11/64af9cae-7dd5-11e7-83c7-5bd5460f0d7e_story.html, gesehen am 19.09.2021. 119 Dale Beran: It Came From Something Awful, New York 2019, 10-13. 120 Precious Roy: Real Nigga Hours, 2016, www.knowyourmeme.com/memes/real-nigga-hours, gesehen am 19.09.2021. 121 Poe’s Law ist eine Faustregel für Internet-Kommunikation. Sie besagt, dass eine Parodie eines Themas nur dann als solche erkennbar ist, wenn sie klar und deutlich gekennzeichnet wird. Aus diesem Grund können viele geteilte Inhalte auf Internet-Plattformen falsch interpretiert werden, da nicht sicher ist, ob die Urheber_innen eine ironische oder eine ernst gemeinte Aussage machen. (https://en.wikipedia.org/wiki/Poe%27s_law). 122 Jay Hathaway: The ‘E’ meme shows just how weird memes can get, 2018, www.dailydot.com/ unclick/lord-farquaad-e-meme/, gesehen am 19.09.2021. 123 Vgl. hierzu auch: www.knowyourmeme.com/memes/memes-then-memes-now, gesehen am 19.09.2021. 124 Jay Hathaway: The ‘E’ meme shows just how weird memes can get, 2018, www.dailydot.com/ unclick/lord-farquaad-e-meme/, gesehen am 19.09.2021. 125 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 99. 126 Ebd. 98. 127 Hito Steyerl: The Wretched of the Screen, Berlin 2012, 42. 128 Ebd. 32. 129 Ebd. 42. 130 Lolspeak ist ein Internet-Jargon, der auf den frühen Imageboards geprägt wurde und sich durch bewusste Rechtschreib- und Grammatikfehler auszeichnet. (www.knowyourmeme.com/memes/ lolspeak-chanspeak) 131 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 49. 132 Hito Steyerl: The Wretched of the Screen, Berlin 2012, 43. 133 Ebd. 44. 134 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 98. 135 André Gunthert: Das geteilte Bild. Essays zur digitalen Fotografie, Konstanz 2019, 95. 136 Aud Sissel Hoel: Operative Images. Inroads to a New Paradigm of Media Theory, in: Luisa Feiersinger, Kathrin Friedrich, Moritz Queisner (Hg.): Image — Action — Space. Situating the Screen in visual Practice, Berlin 2018, 27. 137 Ebd. 12. 138 Ebd. 13. 139 Ebd. 14. 140 Ebd. 141 Ebd. 23. 142 Ebd. 25. 143Jens Eder, Charlotte Klonk: Introduction, in: Jens Eder, Charlotte Klonk (Hg.): Image operations. Visual media and political conflict, Manchester 2017, 4. 144 Aud Sissel Hoel: Operative Images. Inroads to a New Paradigm of Media Theory, in: Luisa Feiersinger, Kathrin Friedrich, Moritz Queisner (Hg.): Image — Action — Space. Situating the Screen in visual Practice, Berlin 2018, 24. 145 Jens Eder, Charlotte Klonk: Introduction, in: Jens Eder, Charlotte Klonk (Hg.): Image operations. Visual media and political conflict, Manchester 2017, 4. 146 Lev Manovich: The Language of New Media, Cambridge 2001, 45. 147 Wolfgang Hagen: Die Entropie der Fotografie. Skizzen zu einer Genealogie der digital- elektronischen Bildaufzeichnung, in: Hertha Wolf (Hg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt 2002, 233-235. 148 Hito Steyerl: The Wretched of the Screen, Berlin 2012, 32. 149 Whitney Phillips, Ryan M. Milner: The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online, Cambridge 2017, 152.